A propos … Beethoven
(Schweizer Musikzeitung,
September/Oktober 2019, p. 23)
Es stimmt, dass es bis zum Ende des Jahres noch eine Weile hin ist, aber ich möchte bereits jetzt meine Befürchtungen äußern, was 2020 auf uns zukommen könnte. Im nächsten Jahr jährt sich zum 250. Mal Ludwig van Beethovens Geburtstag.
Beethovens Musik ist heute schon massiv in den Konzertprogrammen vertreten. Meine Befürchtung ist, dass sich diese Präsenz im nächsten Jahr noch verstärken wird. Das wäre nicht die beste Art, sein Andenken zu würdigen. Sagen wir es so: Jeder mag Schokoladenkuchen, aber jeden Tag möchte man ihn auch nicht essen. Wie wir aus zahlreichen historischen Anekdoten wissen, sind Komponisten selten auf ihre eigene Musik erpicht. Man muss sich fragen, ob Beethoven bereit gewesen wäre, seine neun Sinfonien hundertmal wiederzuhören.
Es kann bezweifelt werden, ob solche musikalischen Schlemmereien wirklich gesund sind. Meiner Meinung nach gibt es andere Wege, Beethoven zu würdigen – zum Beispiel, indem wir uns am musikalischen Geschmack seiner Zeitgenossen orientieren.
Ein paar Beispiele zeigen, was ich meine: Bach schätzte Dietrich Buxtehude, Johann Friedrich Fasch und Jan Dismas Zelenka. Haydn schätzte Adalbert Gyrowetz. Mozart hatte eine hohe Meinung von Joseph Eybler, Johann Schobert und Jiří Antonín Benda. Beethoven verehrte Luigi Cherubini – dessen Requiem seiner Meinung nach das von Mozart überragte – und schätzte Muzio Clementi sehr. Händel hielt er für den größten Komponisten aller Zeiten. Rossini bewunderte Simon Mayr. Berlioz, Verdi und Liszt hielten Meyerbeers Les Huguenots für ein echtes Meisterwerk.
Es ist doch interessant, dass Konzertprogramme uns nur selten die Lieblingskomponisten von Bach, Haydn, Mozart, Beethoven oder Rossini vorstellen. Vielleicht traut man ihrem Geschmack nicht, wenn sie sich an Komponisten orientierten, die wir heute als zweitklassig empfinden? Das vermeintlich hohe Urteil der Nachwelt – also unseres – lässt mich ratlos zurück.
Mein Vorschlag: Eine ernsthafte Wertschätzung der Meister der Vergangenheit zeigt sich erst, wenn wir ihr Wissen über Zeitgenossen vertiefen. Daraus ergeben sich neue Möglichkeiten, den Jubilar und sein Talent im historischen Kontext zu würdigen. Ein Künstler ist nie isoliert groß; er wird es erst durch seine Beziehung zu seiner Zeit und seine Reaktionen auf die Impulse seiner Umgebung.
Vergleich und Gegenüberstellung sind die Grundlage jeder Bewertung und bringen oft interessante Überraschungen hervor. In einem Artikel im New Yorker hat Alex Ross kürzlich beobachtet, dass man, wenn man Salieri genauer kennenlernt, merkt, dass Mozart zwar besser war, aber nicht unendlich viel besser. Mit anderen Worten: die Größenordnung ist dieselbe; wir sind immer noch in der Champions League. Denn eine gute Kenntnis Salieris hilft, bestimmte Aspekte von Mozarts Talent besser zu erkennen, die uns sonst vielleicht entgehen würden.
Ich halte es nicht für richtig, Ludwig van zu huldigen, indem seine Musik noch intensiver gespielt wird, als es ohnehin schon geschieht. So wird sie trivialisiert. Mir fallen dabei meine Großeltern ein, die ihre Spitzendeckchen herausgeholt haben, wenn Gäste kamen, aber nicht im Traum daran dachten, sie täglich am Küchentisch zu benutzen. Wenden wir uns also Beethoven zu und sehen ihn in seinem Umfeld: Wir hören die Komponisten der Französischen Revolution (z. B. Gossec, Méhul, Lesueur, Cherubini), um zu verstehen, wo Beethovens „Sound“ herkommt; wir vergleichen seine Extravaganz mit der seines Freundes Antonin Reicha, der sogar noch eigentümlicher war. Es wäre auch nicht schlecht, wenn Konzertveranstalter uns helfen würden, den Freund und Konkurrenten von „Ludwig van“ kennenzulernen, nämlich Johann Nepomuk Hummel, der eine große Rolle im Wiener Musikleben jener Zeit spielte.
Eine weitere Möglichkeit, Beethoven zu ehren, wäre, die menschlichen Aspekte seiner Person offener zu zeigen und ihm so etwas von seiner Persönlichkeit zurückzugeben: ihn weniger zu heiligen und anzuerkennen, dass auch er – glücklicherweise – nicht perfekt war. Wer wirklich liebt, schätzt auch die Fehler des Anderen, und unser Ludwig hatte in der Tat seine Fehler. In der Neunten Symphonie und im Fidelio bedauerten die Sänger stets, dass Beethoven nicht mehr aus dem von Salieri erteilten Unterricht in der Aufzeichnung von Gesangspartien herausgeholt hat. Nicht zu vergessen ist auch, was Jonathan Del Mar in seiner Ausgabe der Symphonien (Bärenreiter Urtext Edition, 1996–2000) anmerkte: Fast alle mutig erscheinenden und launischen Passagen dieser Kompositionen sind das Ergebnis banaler Druckfehler!
Und wenn Sie Beethoven wirklich auf orgiastische Weise wiederaufführen wollen, schlage ich vor, zumindest die Quartette zu berücksichtigen. Nur sehr wenige Anhänger klassischer Musik kennen sie wirklich gut. Diese Quartette – mit denen Beethoven das „Quartett“ zum „ernstesten“ Genre der ernsten Musik gemacht hat – haben alles, was es braucht, um Menschen zu begeistern: Sie lehnen Frivolität ab und zeigen in der Kunst die extremen Abgründe der Ästhetik.
Kurz gesagt: Wird es uns mit den beginnenden Beethoven-Feiern gelingen, den Bonner Maestro mehr wertzuschätzen, oder werden sie ihn mit einer Fülle überflüssiger Aufführungen eher
beschädigen, selbst mit Kompositionen, die Beethoven dem Vergessen anheimgegeben hatte? Ich hoffe auf das Beste, bereite mich aber auf das Schlimmste vor.