Gedanken über Soler
Es ist keine Übertreibung zu behaupten, dass Antonio Francisco Javier Soler der originellste spanische Komponist des achtzehnten Jahrhunderts war, ein Autor, der in allen damals gängigen
musikalischen Gattungen und Formen gearbeitet hat – einzige Ausnahme ist die Oper (wie Johann Sebastian Bach, der auch nie eine schrieb).
Die Erkenntnis, dass Soler bemerkenswert originell war, heisst nicht zwingend, dass er keine Vorbilder hatte. Im Gegenteil das phänomenalste war kein geringerer als Domenico Scarlatti. Ob Soler
tatsächlich ein Schüler des grossen spanischen Komponisten (italienisch-neapolitanischen Ursprungs) war, ist ungewiss. Der amerikanische Musikwissenschaftler und Spezialist für spanische Musik,
Gilbert Chase, hielt es für wahrscheinlich (The Music of Spain, 2. Ausgabe, New York, Dover 1959, S. 115). Ob dies nun der Wahrheit entspricht oder nicht, ist tatsächlich ziemlich irrelevant,
denn selbst wenn Soler nicht wirklich bei Scarlatti studiert hat, so war er doch sicherlich sein Schüler im idealen Sinne des Wortes. Wer seine Sonaten spielt oder ihnen aufmerksam zuhört, kann
unmöglich daran zweifeln, dass sie sowohl in der Form, wie auch im Geiste Scarlatti folgen. Es gibt allerdings einen fundamentalen Unterschied zwischen den beiden: Während es scheint, dass
Scarlatti bisweilen versucht, uns zum Lachen zu bringen, scheint Soler im Gegensatz dazu nur überraschen und behutsam unterhalten zu wollen.
Was die musikalische Form angeht, verbesserte oder veränderte Soler die Ein-Satz-Sonate, wie sie sein „maestro“ praktizierte, nicht in fundamentaler Weise. Er folgte Scarlatti auch im „Geiste“,
indem er Ein-Satz-Sonaten hervorbrachte, die so verschieden voneinander sind wie nur irgend möglich. In jeder einzelnen ergibt sich, wie bei Scarlatti auch, eine musikalische Idee aus der anderen
gemäss dem ewigen Prinzip von Ähnlichkeit und Kontrast – ein Prinzip, das einfach genug aufzustellen ist, das aber, soll es in die Praxis umgesetzt werden, eine unerschöpfliche Phantasie
verlangt. Der italienische Komponist und Musikwissenschaftler Gianfrancesco Malipiero, ein unerschütterlicher Botschafter der italienischen Musik, beobachtete einmal, dass so kreative und
produktive Künstler wie Scarlatti, Cimarosa, Paisiello, usw., nicht sehr lange bei ihren melodischen Ideen verweilen müssten, weil weitere hervordrängen. Deutsche Komponisten nehmen im Gegensatz
dazu bloss ein „Thema“ und foltern es zu Tode, auf alle möglichen Arten, minutenlang, ununterbrochen! In dieser Hinsicht gebührt Soler die Ehre als Italiener zu gelten.
Was an Antonio Solers Musik besonders hervorsticht, sind die originellen, manchmal sogar bizarren und unvorhersehbaren Modulationen welche er aus dem Hut zaubern kann. In der Tat war er der
anerkannte und gleichzeitig umstrittene Meister der unerwarteten Modulation. Tatsächlich war er nicht nur Komponist und Organist, sondern auch Theoretiker und Pädagoge. Als solcher publizierte er
eine Abhandlung über Modulation, die recht lange umstritten war (Llave de la Modulación y antigüedades de la música, Madrid 1762). Es ist eine Arbeit über Harmonik, die in gewisser Weise ein
Äquivalent zu einem Werk über Kontrapunkt ist, das ein ebenso phantasievoller wie bizarrer Komponist rund vierzig Jahre später verfasst hat: Antonin Reichas Über das neue Fugensystem von 1805.
Dies nur um zu zeigen, dass, obwohl wir denken, wir schätzen „originelle“ Komponisten, einige der originellsten und innovativsten grossen Meister der Vergangenheit immer noch auf ihre Entdeckung
warten.
Ich denke, ich sollte jetzt noch einige Details hinzufügen, etwas präzisier werden und erklären, dass Antonio Soler nicht wirklich ein Spanier war, sondern ein Katalane. Die sehr spezielle Kultur
von Cataluña hat im Laufe der Zeit eine Anzahl origineller Künstler hervorgebracht, darunter Isaac Albeniz, Salvador Dalí, Antonio Gaudí und Joan Miró. Antonio Soler passt demzufolge sehr gut in
diese kulturelle Landschaft. Soler war übrigens ein Priester (und verbrachte den grössten Teil seines Lebens in El Escorial, dem grossartigen Palast mit Kirche und Kloster, den König Philip II
zweihundert Jahre früher ausserhalb von Madrid erbaut hatte). Soler widmete sich auch mit viel Energie der Mathematik und Erfindungen aller Art (er erfand ein Stimmgerät, das den Unterschied
zwischen ganzen und halben Tönen demonstrierte); und, wie wenn das nicht Beschäftigung genug gewesen wäre, er war auch ein Experte im Entwerfen und Bauen von Orgeln. Es ist daher ziemlich
erstaunlich, wie produktiv er als Autor war: über 400 Kompositionen, darunter mehr als 120 Sonaten für Cembalo, sechs Quintette für Orgel und Streicher, sechs Doppelkonzerte für Orgel, 10 Messen,
fünf Requiems, 132 Villancicos (die Hauptgattung der säkularen Polyphonie in Spanien, die als Äquivalent der italienischen Frottola gelten kann) und diverse andere Werke, inklusive eine Sonate
für Cembalo mit dem Titel Fandango, welche möglicherweise sein bekanntestes Werk ist.
Von den Cembalo-Sonaten betrifft, es sollte nicht vergessen werden, dass eine Menge Cembalo-Musik, speziell in der Scarlatti-Soler Tradition, zum Vergnügen gebildeter Amateure geschrieben wurde,
die diese Stücke studierten und für sich selbst spielten, einfach so zur eigenen Unterhaltung. Das ist ein Grund, warum die Sonaten so reich an Spielfiguren sind (das sind melodische und
rhythmische Figurationen, die fast natürlich aus den Fingern kommen, sobald man die Tasten berührt, sozusagen das Ergebnis der Anatomie der Hand).
Statt einmal mehr die Musik bestens bekannter und missbrauchter Autoren zu präsentieren, hilft sie uns, Antonio Francisco Javier José Soler wiederzuentdecken und zu schätzen!